Wie viel ist genug? Neue Wege zur Suffizienz in der Stadtplanung
Vom 13. bis 14. Oktober trafen sich rund 40 Vertreter*innen deutscher und französischer Kommunalbehörden in Straßburg, um zum Thema Suffizienz in der Stadtplanung zu lernen und Erfahrungen auszutauschen. Der Workshop, der durch das TANDEM-Team in Kooperation mit dem Deutsch-Französischen Zukunftswerk organisiert wurde, bot all diesen Akteur*innen der deutsch-französischen Zusammenarbeit die Möglichkeit, sich nach fast drei Jahren virtueller Treffen endlich wieder persönlich zu sehen.
Suffizienz ist ein Konzept, das schwer zu übersetzen ist: Im Deutschen und Französischen bedeuten die beiden Begriffe „sobriété“ und „Suffizienz“ nicht unbedingt das Gleiche. Sobriété schließt einen psychologischen Aspekt mit ein, während Suffizienz viel technischer verstanden wird.
Barbara Nicoloso, die Direktorin von Virage Energie, einer NGO aus Lille, die sich auf energetische und gesellschaftliche Zukunftsforschung spezialisiert hat, und Daniel Fuhrhop, Wirtschaftswissenschaftler und Autor von „Verbietet das Bauen!“, vertreten durch Julia Plessing vom Deutsch-Französischen Zukunftswerk, stellten ihre Definitionen einander gegenüber. Für Barbara Nicoloso ist „sobriété“ ein gesellschaftliches Projekt, das darauf abzielt, aus einem System des Raubbaus an den natürlichen Ressourcen auszubrechen. Sie beruht auf der Frage nach den zu befriedigenden Bedürfnissen und einer gerechten Verteilung der Ressourcen im Rahmen der planetaren Grenzen. Der Begriff „sobriété“ ist in Frankreich gesetzlich verankert und genießt derzeit tatsächliche institutionelle Anerkennung sowie eine große Medienpräsenz. In Deutschland hingegen wird der Begriff „Suffizienz“ auf politischer, technischer oder wissenschaftlicher Ebene kaum verwendet. Daniel Fuhrhop zieht es vor, den Begriff „Gutes Leben einfacher zu machen“ zu verwenden, oder den englischen Begriff „right-sizing“ – (den Raum) den Bedürfnissen anpassen – und nicht „downsizing“ – (den Raum) verkleinern.
2020 fordert Daniel Fuhrhop in seinem Manifest „Verbietet das Bauen!“. Tatsächlich kündigte die deutsche Wohnungsbauministerin Anfang dieses Jahres den Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr an. Daniel Fuhrhop hingegen argumentiert, dass es in Deutschland genügend leerstehende Wohnungen gibt, um den Bedarf zu decken. Die Herausforderungen in Frankreich sind ähnlich: Die Stadt des Jahres 2050 existiert zu großen Teilen bereits heute. Das Problem ist nicht, dass es zu wenig verfügbaren Wohnraum gibt, sondern eher ein rechtliches, da die öffentliche Hand diese leerstehenden Wohnungen nicht einfach enteignen und nutzen kann.

Ein tiefgreifender und radikaler Wandel der Gesellschaft braucht viel Zeit, und die wird nun knapp. Nur „Es ist zu spät, um pessimistisch zu sein“. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland engagieren sich Kommunen für eine Politik des sparsamen Umgangs mit Energie.
Unser Rundumblick über konkrete Maßnahmen vor Ort: Unterstützung der energetischen Sanierung (im Vorfeld, währenddessen und danach; z.B. durch Alter Alsace Energies), Maßnahmen zur Nutzung leerstehender Wohnungen (wie z.B. in der Gemeinde Muttersholtz), Entwicklung ehrgeiziger Fahrrad- und Fußgängerkonzepte oder auch Bürgereinbindung durch Spaziergänge (wie z.B. in der Stadt und Eurometropole Straßburg), Stadtplanung als Kreislaufsystem mit der gemeinschaftlichen Nutzung öffentlicher Einrichtungen oder Büros und der (übergangsweisen) Nutzung leerstehender Gebäude (z.B. Communa Brussels), Entwicklung von Quartiersansätzen (z.B. München)… Das macht Mut und dient der gegenseitigen Inspiration!


Um noch tiefer in den sparsamen Umgang mit Flächen einzutauchen, wurden am Freitag, den 14. Oktober, drei Städte dazu eingeladen, ihre Maßnahmen zur Bekämpfung des steigenden Flächenverbrauchs und zur „Stadtgestaltung“ auf andere Weise vorzustellen:
Die Stadt und Eurometropole Straßburg fördern das gemeinschaftliche Wohnen: 40 Projekte laufen, 20 davon sind bereits bewohnt. Das partizipative Wohnen ermöglicht es den Bürger*innen, sich an der Gestaltung ihrer Wohnungen zu beteiligen und Gemeinschaftsräume zu schaffen. Es ist eine gewählte Wohnraumverdichtung, die auf gemeinsamen Werten beruht, die in einer „Charta des Zusammenlebens“ niedergelegt sind.
Die Stadt Karlsruhe führt seit 2005 das Programm „Wohnraumakquise durch Kooperation“ durch: eine Strategie zur Bereitstellung von leerstehendem Wohnraum für sozial benachteiligte Menschen. Im Rahmen dieses Programms stellen die Eigentümer ihre leerstehenden Wohnungen zur Verfügung und unterzeichnen eine Nutzungsvereinbarung mit der Stadt. Sie erhalten bei Bedarf Zuschüsse für Renovierungsarbeiten sowie eine befristete Garantie für ausbleibende Mietzahlungen. Seit Beginn des Programms bis September 2022 hat die Stadt 1.253 Wohnungen an insgesamt 2.750 Bewohner*innen vermittelt.
Hiddenhausen setzt seit 2007 auf ihr Programm „Jung kauft alt“, das dazu anregen soll, bestehende Häuser zu erwerben anstatt neue zu bauen. Die Ergebnisse nach 15 Jahren: 74 Immobilienschätzungen und 757 von „jungen“ Familien erworbene „alte“ Gebäude. Das Programm stoppt die Zersiedelung, vermeidet Leerstand, verjüngt alte Viertel, belebt Dorfkerne, fördert junge Familien und reduziert die Nebenkosten der Siedlungsentwicklung.
Die Präsentationen der Städte Straßburg, Karlsruhe und Hiddenhausen zum Thema sparsamer Umgang mit Flächen können Sie hier (in der Kategorie „Workshops“) finden.
Diese beiden Tage, die erneut reich an Austausch waren, haben einmal mehr bewiesen, wie wichtig es ist, unsere deutschen und französischen Sichtweisen gegenüberzustellen, denn unsere Probleme sind ähnlich und unsere kleinen kulturellen Unterschiede können uns wunderbar inspirieren, die aktuellen Krisen gemeinsam zu überwinden.

